Es ist höchste Zeit
- M. A. Theyssen
- 12. Aug.
- 6 Min. Lesezeit

Ist es im 21 Jahrhundert heute oft Täuschung, Unfähigkeit oder gar beides?
Seit einer gefühlten Ewigkeit und doch nun seit ca. 30 Jahren, werden Begriffe wie Kundenservice, Kundenorientierung und Worthülsen wie Customer Excellence regelrecht vergewaltigt.
Bandansagen wie beispielsweise „das Gespräch wird zu qualitätszwecken aufgezeichnet“ oder „einen kleinen Moment bitte, wir sind gleich für Sie da“, gehören seit sehr vielen Jahren zur täglichen vorprogrammierten Enttäuschung, denn bereits mit dürftigen mathematischen Kenntnissen wird uns schnell klar, dass das Versprechen nicht haltbar ist, wenn aus Gewinnsteigerungsgründen nur ein Bruchteil an Mitarbeitern einer grossen Übermacht an eingehenden Anrufern gegenübersteht. Von der Rücksichtslosigkeit gegenüber diesen ausgelieferten Mitarbeitern, die diesem Zustand ausgesetzt werden, mal ganz abgesehen.
Dieser oft bewusst in Kauf genommene Irrsinn ist besonders bei den grössten und zumeist internationalen Unternehmen (denke beispielsweise an Reise-/Unterkunftsportale, Telefonanbieter, Versicherungen, staatliche Behörden, Social-Network-Plattformen, Versandhändler …) eine völlig entgegengesetzte Realität dessen, was von diesen Unternehmen auf ihren Webseiten und Prospekten dem Kunden versprochen und Mantra artig suggeriert wird.
Wie sieht die tatsächliche Realität denn aus, die wir alle schon tausende Male selbst erlebt haben?
Die veröffentlichte Hotline-Nr. zwängt uns durch zig Automaten-Fragen (drücken sie 1 wenn, drücken sie 2 wenn, drücken sie ..…bla bla bla.) Vermeintlich am Ende angekommen, die nächsten Auswahlfragen zwischen, wenn dann 1, dann 2, dann bla bla, ……… Danach die längst übliche Bandansage : derzeit haben wir ein hohes Telefonaufkommen….., alle unsere Mitarbeiter sind ……., wir sind gleich für Sie da.
Das Wort gleich scheint im Laufe der Jahre ein unendlich dehnbarer Begriff geworden zu sein.
Die „Kunden“, die es nach 10, oder 20 oder gar 30 Minuten noch immer nicht in der „Gleich Warteschleife“ aufgegeben haben, werden entweder aus der Leitung rausgeworfen, oder erhalten dann viel zu oft einen Mitarbeiter, dessen sprachliche Fähigkeiten entweder sagen wir mal ausbaufähig, oder seine Produktkenntnisse eher schlecht als recht vorhanden sind. Auch die Bitte nach Weiterleitung des Gesprächs an einen Vorgesetzten, oder gar um einen Rückruf wird in der Regel abgelehnt und man verweist auf ein online-Formular.
Die Liste dieses alltäglichen Wahnsinns und der Missachtung der Kundenbedürfnisse könnte hier noch unendlich erweitert werden, worauf ich verzichte, da wir alle hierzu hinlänglich Erfahrungen im Alltag bereits gemacht haben. Nur als Stichwort : Denken Sie beispielsweise einfach mal an Ihre letzte Reklamation und die damit verbundene Abwicklung.
Die Frage der Fragen?
Warum ist das so? Wo ist der Service und das aufrichtige Bemühen um den Kunden geblieben? Wo ist der Anspruch geblieben, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen?
Ein Versuch der Erklärung
Früher waren es in der Regel, Unternehmer, Gründer, Väter und Mütter die auch für Ihre Kinder ein Unternehmen aufbauten, Kundenbeziehungen pflegten und ausbauten, Beständigkeit und einen Namen implementierten, der einen Ruf des Vertrauens und Zuverlässigkeit schuf. Das Ziel war nicht nur die Umsatzsteigerung, sondern insbesondere die Ausrichtung auf gesundes organisches Wachstum und auf die Zukunftssicherung des Unternehmens für die Kinder, die Mitarbeiter und ja auch für die treuen Kunden, die seit Jahren und teils seit Generationen mit dem Unternehmen verbunden waren.
Genau diese Struktur hat sich fundamental verändert. Familienunternehmen werden von den sogenannt Grossen allzu oft ausgebotet oder aufgekauft. Die Führungsriege dieser grossen Unternehmen sind keine klassischen Unternehmer mehr, sondern ANGESTELLTE Manager.
Es spielt also nicht mehr die entscheidende Rolle, das Unternehmen an die nächste Generation zu übergeben. Auch wechselt das Management im Schnitt alle 5 Jahre, und somit verschiebt sich der Fokus dieser Angelstellten CEO`s nicht selten weg von einer Zukunftsausrichtung hin zum Jahresbonus.
Dieser Jahresbonus, den ich als eine Art Karzinom bezeichne, macht oft das zwei-, drei- oder vierfache des Jahresgehaltes aus. Das Ergebnis liegt auf der Hand, oder noch besser, ist in der Realität zu bestaunen. Der Fokus ist mehrheitlich gerichtet auf die kurzfristigen Zielerreichungen wie Umsatz, Jahresgewinn und Kostenreduktion. Nicht dass dies unwichtige Parameter wären, aber die Gründer, die eigentlichen Unternehmer hatten viel mehr als das im Auge.
Sie hatten Leidenschaft, Liebe, sie kannten Ihre Mitarbeiter und zum Teil deren Familien, sie kannten ihre Kunden, deren Wünsche, deren Sorgen, deren Hoffnungen, sie kannten die Region, das Generationengeflecht und vor allem Ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und Sie investierten und riskierten ihr eigenes Vermögen. Sie beschäftigten nicht selten auch die nächste Generation Ihrer Mitarbeiter also deren Kinder und Enkelkinder.
Ewig gestrig? Nicht mehr zeitgemäss? Oder eine Möglichkeit, sich dem Wettbewerb wieder mittels Werten, Qualität, Verantwortung und Identität zu stellen und in der Folge positiv aus der Menge der Anbieter herauszutreten. Ja es stimmt, dazu gehört Mut, war es doch eine klassische Tugend vieler Gründer und Unternehmer. In Marketingabteilungen, Vertrieb und Direktion zerbricht man sich die Köpfe auf der Suche nach dem vielzitierten USP, dabei liegt dieser seit mehr als 3 Jahrzehnten so offensichtlich und ungenutzt herum.
Die Perversion in der wir längst angekommen sind
Ein Vertriebler wird vom Unternehmen am Jahresende ausgezeichnet als der beste Vertriebler des Jahres. Auf grosser Bühne bekommt er einen cash-award, eine Laudatio, einen schriftlich und mündlich zum Ausdruck gebrachten Dank, für eine aussergewöhnliche Leistung. Sagen wir als Beispiel, er machte in diesem Jahr einen Umsatz von 1.000.000 Euro. Super, Wahnsinn, toll, danke. Im darauffolgenden Jahr macht er exakt den gleichen unvorstellbaren Umsatz, die gleiche Zahl, die gleiche Anstrengung, eigentlich sogar noch mehr, da der Wettbewerb stärker hinzugewonnen hat. Nur dieses Mal gibt es keinen Dank, keine Ehrung, keinen cash-award, keine Laudatio. Dieses Mal vermittelt man ihm, diesem Leistungsträger, dass er sich nicht genug angestrengt hat, er hat das Ziel des 8% Umsatzplus nicht nur nicht erreicht, sondern total verfehlt, sein Umsatz hat stagniert. Er steht 12 Monate nach seiner ausserordentlichen Ehrung im Negativ-Fokus, sozusagen unter Beobachtung, er ist in Gefahr. Es ist die logische Konsequenz eines Irrglaubens und einer kranken Entwicklung. Er ist in Gefahr, weil seine Umsatzstagnation den Bonus seines Vorgesetzten gefährdet. Ach ja, das Ergebnis dieser Fehlentwicklung zeigt sich wie automatisch mittlerweile auch in nachlassender Loyalität und einer steigenden Personalfluktuation, insbesondere bei Leistungsträgern.
Was braucht es in der Zukunft, um das Blatt zu wenden?
Um es kurz zu machen, Mut, Liebe, Leidenschaft, Überzeugungen, Ehrlichkeit, Verantwortung, Respekt, Menschlichkeit, Innovation und Langlebigkeit. Wenn in den Hochglanzprospekten, im Fernsehen und auf den Internetseiten davon gesprochen wird, dass die Mitarbeiter und die Kunden das höchste Gut des Unternehmens sind, dann muss sich das im Handeln, in den Produkten, in den Märkten, also in der Realität widerspiegeln.
Positive Beispiele? Gerne!
1. Verpackungsverschlüsse die ohne Zange auch von älteren Menschen zu öffnen sind. Ich empfehle im positiven Sinne, um mal auch ein Unternehmen und ein Produkt hier zu benennen, die patentierten Marmeladengläser der Firma Migros.
2. In einem grossen Lebensmittelfilialisten in der Schweiz räumt eine Mitarbeiterin auf den Knien ein Bodenregal mit Konserven ein. Auf meine Frage, ob ich sie stören dürfe, denn ich suche die Oliven, hört sie augenblicklich mit dem einräumen auf und erhebt sich, schaut mich an und sagt freundlich, ich darf kurz vorausgehen, kommen Sie doch gerne mit. Sie schaut sich immer wieder um und stellt sicher, dass sie auch nicht zu schnell vorausläuft. Sie stoppt am Gang und an den Regalen, wo die Oliven stehen und fragt mich, ob ich griechische oder italienische, grüne oder schwarze Oliven möchte und wünscht mir noch einen guten Tag. Um an dieser Stelle mal den doch so gerne in internationalen Konzernen missbrauchten Anglizismen „Customer-Excellence“ zu benutzen. Hier in diesem Schweizer Lebensmittelfilialisten habe ich ihn erlebt und nicht nur in dieser einen Filiale, sondern es gehört sozusagen zur Service-DNA dieses Unternehmens und seiner 45.000 Mitarbeiter.
3. Ein CEO eines weltweit führenden Baustoffherstellers, der von sich selbst und jedem Manager des Unternehmens erwartet, 2-mal im Jahr für ein paar Tage in den Produktionshallen auszuhelfen, um ein ausreichendes Verständnis für die Kollegen in den Fertigungsstätten und ihren Leistungen zu erleben und den Herstellungsprozess nicht nur als Zuschauer beurteilen zu können.
Resümee
Die heutigen und zukünftigen Führungskräfte haben es in der Hand, die Gegenwart und Zukunft positiv zu beeinflussen.
Behandele Dein Gegenüber mindestens so gut, wie auch Du behandelt werden möchtest.
Setze das um, was Du Deinen Mitarbeitern und insbesondere Deinen Kunden versprochen hast.
Lass Worten auch Taten folgen, denn Worthülsen und falsche Versprechen nutzen sich ab.
Das Schaffen von USP`s - oder zu Deutsch Alleinstellungsmerkmalen - ist nicht nur über neue Produkte und Dienstleistungen, sondern heute mehr denn je über wahre Bemühung um den Kunden möglich.
Fehlende oder bestenfalls schwindende Glaubhaftigkeit ist in fast allen Bereichen des Zusammenlebens und der Arbeitsprozesse derzeit eine der grössten Herausforderungen. Wir können dies weiterhin ignorieren und so tun, als würden wir es nicht sehen oder uns nicht betreffen, am unweigerlichen Ergebnis wird es jedoch nichts ändern. Es sei denn, wir ändern uns.
Wenn Sie hierzu Fragen oder Anmerkungen haben, freue ich mich auf Ihren Anruf oder Ihre Nachricht.
Ihr Markus Alexander Theyssen
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